In einem Gymnasium hat die Schulleitung mit den LehrerInnen neue Regeln aufgestellt. Diese Regeln sollen sicherstellen, dass sich alle in der Schule wohl fühlen, so zumindest die Absicht des Schulpersonals.
Der Lehrer Steiner hat seine Schüler und Schülerinnen informiert, welche Regeln ab sofort gelten.
Und noch die Strafen dazu: Wenn jemand diese Gebote missachtet, muss er oder sie die Schulregeln abschreiben, nachsitzen oder die ganze Schulklasse bekommt eine zusätzliche Hausaufgabe.
Als Elias (14) diese Auflistung hört, fragt er, ob er nun in einer Schule oder in einem Gefängnis steckt. Der Lehrer Steiner ist von dieser Anmerkung sichtlich irritiert. Diese verbindlichen Regeln wurden vom Schulleiter und von den LehrerInnen höchstpersönlich zum Wohle der Schule aufgestellt. Daher sind die SchülerInnen verpflichtet, sie ohne weitere Kommentare zu respektieren.
Die Klassenkameraden hören zu und vermeiden jeden Augenkontakt mit dem Lehrer Steiner. In der Klasse herrscht eisige Stille. Man könnte eine Mücke fliegen hören.
Hat Elias recht, sich zu wehren, oder haben die Erwachsenen richtig gehandelt, wenn sie zum Wohl der Schule - ohne die Jugendlichen zu beteiligen - diese Regeln formuliert haben?
Die Kinderrechtskonvention spricht dazu mit dem Artikel 12 ein klares Wort:
Jugendliche haben das Recht, beteiligt zu werden, wenn eine Entscheidung getroffen wird, die sie betrifft. Sie haben das Recht, dass ihre Meinung angehört und ernst genommen wird.
Nicht alles, was Jugendliche als Anliegen bringen, muss dann auch 1:1 von Erwachsenen umgesetzt werden. Jugendliche müssen dennoch eine konkrete Chance haben, dass ihre Anliegen einen Einfluss auf die definitive Entscheidung haben, auch wenn das Endergebnis vielleicht nur eine Kompromisslösung ist.
In Österreich gibt es – je nach Schulstufe – verschiedene Möglichkeiten in der Schule mitzureden und mitzubestimmen. Für alle SchülerInnen ab der 5. Schulstufe gibt es VertreterInnen in Form von KlassensprecherInnen.
Was kann Elias nun machen? Elias könnte Herrn Steiner auf Artikel 12 der Kinderrechtskonvention aufmerksam machen. Er könnte vorschlagen, dass eine Schulstunde zur Verfügung gestellt wird, so dass die neuen Regeln von der Klasse diskutiert werden. Das würde den SchülerInnen die Möglichkeit geben, Anpassungen vorzuschlagen, die dann mit der Schulleitung diskutiert werden.
Je mehr Schulklassen die Anpassungen unterstützen, desto stärker ist die Verhandlungsposition der SchülerInnen.
In der Familie, bei gerichtlichen Verfahren, in der Schule, in der Gemeinde, oder auch am Arbeitsplatz haben Jugendliche das Recht korrekt und altersgemäß informiert zu werden sowie ihre Meinung zu äußern. Erwachsene sind verpflichtet, Anliegen und Bedürfnisse Jugendlicher für die definitive Entscheidung ernst zu nehmen. Warum?
Einerseits, weil sonst Minderjährige - anders als Erwachsene - in der Regel keine Möglichkeit haben, selbstständig eigene Rechte und Pflichten zu bestimmen (Jugendliche unter 16 Jahren dürfen noch nicht wählen gehen und Jugendliche besetzen meistens keine Führungspositionen).
Andererseits, weil die Kunst aus verschiedenen Anliegen mehrheitsfähige Kompromisse zu schließen, eine Kompetenz ist, die eine reife Demokratie braucht: Je früher Jugendliche üben können, wie man demokratisch zu einer Entscheidung kommt, umso mehr profitiert die Gesellschaft der Zukunft davon.
Wie du siehst: Artikel 12 ist für die Gesellschaft eine Bestimmung mit weitreichenden Konsequenzen.